J.R.R. TOLKIENS ZWEITES ZEITALTER IM RAMPENLICHT
von Marcel Aubron-Bülles
Am 2. September dieses Jahres wird eine neue Ära eingeläutet: Amazon Prime Video wird mit der Ausstrahlung von »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« beginnen, der teuersten Serie aller Zeiten. Basierend auf Textstellen aus »Der Hobbit«, »Der Herr der Ringe« und vor allem den Anhängen von Tolkiens Meisterwerk haben die beiden Showrunner, JD Payne und Patrick McKay, einen Handlungsbogen entwickelt, der in fünf Staffeln und insgesamt fünfzig Stunden Laufzeit sicherlich den Geschichten J.R.R. Tolkiens zu noch größerer Geltung verhelfen wird.
Vor dem Dritten, nach dem Ersten
»Der Herr der Ringe« ist den meisten Fans ein fester Begriff. Alles, was sich in literarischer Vorlage und Filmtrilogien abspielt, passiert am Ende des Dritten Zeitalters, und die Zerstörung des Einen Rings und damit der Sieg über Sauron läuten das Vierte Zeitalter ein.
Immer wieder finden Ereignisse früherer Zeiten Erwähnung, ob nun Gandalf Frodo erklärt, woher die Ringe der Macht stammen, wer die Dunédain sind und was Númenor ist, oder wer Beren und Lúthien waren: Tolkien hat ein besonderes Talent, Geschichte in Rückblenden auferstehen zu lassen und seinen Mythen eine Tiefe zu verleihen, wie kaum ein anderer Autor.
Das Zweite Zeitalter ist dabei im Vergleich zum Ersten Zeitalter, das Tolkien ausgiebig in »Das Silmarillion« oder den »Nachrichten aus Mittelerde« beschrieben hat, oder dem Dritten Zeitalter, dem er mit »Der Hobbit« und »Der Herr der Ringe« gleich zwei maßgebliche Werke gewidmet hat, das literarische ›Stiefkind‹.
Es gibt hierzu viel weniger Material. Und das bietet wiederum den Showrunnern von »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« kreative Spielräume. Natürlich müssen sie sich mit den Traditionen Tolkiens auseinandersetzen, und die Tatsache, dass gleich zwei der erfolgreichsten Filmtrilogien aller Zeiten in Mittelerde spielen, können sie sicher auch nicht ignorieren. Allerdings bewegen sie sich gleichsam in literarischen Landschaften, in denen offenstehende Fragen, ungeklärte Mysterien und atemberaubende Charaktere zur Verfügung stehen.
Das Ende des Ersten Zeitalters und der Beginn des Zweiten – Númenor, sein Aufstieg und Fall
Im Ersten Zeitalter versuchten die Elben die drei Silmaril von Melkor zurückzuerobern, die er Feanor in Valinor gestohlen hatte. Ihre Königreiche in Mittelerde wurden aber eins nach dem anderen vom Dunklen Herrscher, dem Sauron damals diente, vernichtet, oft durch Verrat oder Überheblichkeit. Die Lage für Elben und Menschen wurde nach nur wenigen Jahrhunderten unerträglich.
Erst durch die Fürbitte Earendils bei den Valar in Valinor wurde ihnen Hilfe zuteil, und Melkor samt seiner Untergebenen wurden im Krieg des Zorns vernichtend geschlagen. Diese Schlacht war so gewaltig, dass das Aussehen der Welt durch sie verändert wurde, und Beleriand in den Fluten versank.
Als Dank für die Unterstützung der Elben wurde den Menschen ein Geschenk gemacht: Eine Insel, auf der sie langes Leben, Gesundheit und Frieden erwarteten – Númenor. Diese Geschichte, von der Entstehung Ardas, wurde ausführlich in »Das Silmarillion« beschrieben.
Das Zweite Zeitalter begann also für die Menschen auf Númenor im Glück, und sie machten sich daran, sich in ihrer neuen Heimat einzurichten. Es war vor allem die Schifffahrt, die sie begeisterte, und im Lauf der Jahrhunderte wurden sie zur größten Seefahrernation Mittelerdes. Zu Beginn reisten sie auf ihren Schiffen, einzig um die Welt zu erkunden, doch mit der Zeit und mit wachsender Macht wandelte sich die Stimmung auf Númenor. Sie gründeten Häfen und Festungen in Mittelerde, unterjochten die dortigen Völker und ließen sie Tribute zahlen. Wo früher ihre Schiffe mit Freude begrüßt wurden, verbreiteten sie immer häufiger Angst.
Als Sauron, der um 1000 ZA (Zweites Zeitalter) nach Mordor gegangen war, gegen 1700 ZA Eriador mit Krieg überzog, um sich die Ringe der Macht anzueignen, wurde er von den Númenorern zurückgeschlagen. Als er gegen Ende des Zeitalters ihre Küstenstädte bedrohte, zog Ar-Pharazôn mit einer übermächtigen Flotte gegen ihn, und Sauron unterwarf sich ihm. Er ging als Gefangener nach Númenor, wo er nach wenigen Jahren zum Vertrauten des Königs aufstieg, und diesen zum Krieg gegen die Valar in Valinor aufstachelte.
Als Ar-Pharazôn im verblendeten Größenwahn nach neun Jahren Bauzeit mit der größten Flotte aller Zeiten nach Westen segelte, und seinen Fuß verbotenerweise auf den Boden Valinors setzte, griff Ilúvatar, der Schöpfer Ardas, ein und Númenor versank im Meer. Nur die wenigen Getreuen, die den Elben und den Valar stets freundlich gesinnt waren und zu denen Elendil und seine Söhne Isildur und Anárion gehörten, entkamen der Katastrophe und gründeten Gondor und Arnor.
Das Zweite Zeitalter – die Ringe der Macht
Es gibt viele Details, die im Unklaren liegen, und oft sind die Informationen nur spärlich, aber in einem Kapitel zum Zweiten Zeitalter erfahren die Leserinnen und Leser mehr über die Entstehung der Ringe der Macht.
Celebrimbor, der Enkel Feanors, ging mit Galadriel und Celeborn nach Eregion und wurde dort zum Oberhaupt der Gwaith-i-Mírdain, der Gilde der Juwelenschmiede, und er pflegte engen Kontakt mit den Zwergen, die in Khazad-dûm lebten. Sein großes handwerkliches Geschick hatte er von seinem Großvater geerbt und auch dessen unstillbaren Wissensdurst, was ihm zum Verhängnis werden sollte. Denn als Sauron zum ersten Mal in anderer Gestalt in Eregion erschien und als Maia der Schmiedekunst, der sie beim Vala Aule selbst gelernt hatte, Celebrimbor viele Tipps und Tricks verriet, war der nur zu bereit, ihm zuzuhören. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden mit der Zeit die Ringe der Macht.
Sauron schien den Plan gefasst zu haben, Celebrimbor die Fähigkeit zum Schmieden dieser Ringe zu vermitteln, um anschließend den Einen Ring zu schaffen, der alle anderen zu beherrschen vermochte. Doch Celebrimbor hatte nicht nur die drei Elbenringe ohne sein Wissen angefertigt, so dass sie versteckt werden konnten, er weigerte sich auch, die anderen Ringe herauszugeben, woraufhin Sauron den Krieg erklärte. Sauron konnte sein Ziel zu einem gewissen Maß erreichen, denn er konnte die Neun Ringe ergattern, die er an die Menschen weitergab. Schließlich wurde er aber durch die Númenorer aufgehalten und musste sich zurückziehen. Celebrimbor hatte er gefoltert und getötet.
Das Zweite Zeitalter – Elrond und Bruchtal, Gil-galad und Lindon, die Zwerge und Khazad-dûm, Galadriel in Eregion und Lothlórien
Nach dem Angriff Saurons auf Eregion gründete Elrond Imladris oder Bruchtal. Er und sein Bruder Elros – Söhne Earendils – durften sich aussuchen, ob sie den Menschen oder den Elben zugerechnet werden wollten. Elros entschied sich für das Leben als Mensch und wurde erster König Númenors; Elrond entschied sich, Elb zu sein und gehörte zu den mächtigsten Bewohnern Mittelerdes im Zweiten Zeitalter. Mit Gil-galad, dem Hohen König der Noldor, verband ihn eine enge Freundschaft.
Gil-galad baute sein Reich Lindon zu Beginn des Zweiten Zeitalters kontinuierlich aus und bemühte sich um regen Kontakt mit Númenor, denn schon bald wurde klar, dass Sauron zur ernsthaften Bedrohung wurde. Für Elben und Menschen wurde es überlebensnotwendig, sich gegen ihn zusammenzuschließen. Der Höhepunkt dieser Freundschaft war das Letzte Bündnis, das im Jahr 3430 des Zweiten Zeitalters geschlossen wurde, und dem es am Ende gelang, Sauron niederzuringen. So endete das Zweite Zeitalter.
Khazad-dûm wurde von Durin I. im Ersten Zeitalter gegründet und war die größte aller Zwergenstädte. Die Zahl ihrer Bewohner stieg zu Beginn des Zweiten Zeitalters noch einmal deutlich an, da viele Zwerge aus den zerstörten großen Städten Nogrod und Belegost fliehen mussten. Als Sauron Eregion verwüstete, fielen sie ihm mit ihrer Streitmacht in den Rücken, um ihn zu schwächen und halfen damit Elrond in Bruchtal. Ihr König zu diesem Zeitpunkt war Durin III.
Galadriel half bei der Gründung Eregions um 750 ZA, und sie war die Einzige, die Sauron sofort als das erkannte, was er war. Doch ihre Warnungen wurden ignoriert, und sie ging mit ihrem Mann Celeborn nach Lothlórien. Als einer der mächtigsten Elbinnen aller Zeiten, musste ihr das Wiedererstarken Saurons wie ein Albtraum erscheinen.
Aus dieser Mischung herausragender Charaktere, unterschiedlichster Regionen Mittelerdes und Númenors und dem ständigen Streben Saurons nach der Macht wird das Zweite Zeitalter diesen September zum Leben erweckt.
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