Eva Bergschneider von phantastisch-lesen.com wirft einen Blick auf interessante Helden in der Fantasy
Was zeichnet Fantasy-Helden eigentlich aus?
Wikipedia beschreibt Helden als reale und fiktive Personen, die besondere und außeralltägliche Leistungen vollbringen. Die Heldentaten können körperlicher oder geistiger Natur sein, also aus körperlicher Stärke oder Geschicklichkeit herrühren. Oder auf Klugheit, Tugendhaftigkeit oder Mut basieren. Die wirklich interessanten Helden in der Fantasy-Literatur passen jedoch nicht so recht zu dieser Beschreibung. Sie sind nicht immer besonders stark oder geschickt. Sie sind nicht immer besonders klug oder mutig. Selbst an der Tugendhaftigkeit mangelt es manchen. Doch es sind gerade diese nicht so heldenhaften Helden, die die Leser begeistern. Schauen wir uns einige von ihnen etwas genauer an.
Der gebrochene Held – Vaelin al Sorna aus der »Rabenschatten«-Trilogie von Anthony Ryan
Die »Rabenschatten«-Trilogie von Anthony Ryan schickt einen gebrochenen Helden in ein kriegerisches Abenteuer. Vaelins Vater bringt den Jungen zum sechsten Orden, wo er unter unsäglichen Qualen und schmerzhaften Bestrafungen das Kriegshandwerk erlernt. Vaelin Al Sorna ist zwar ein körperlich starker und geschickter Held. Doch seine Seele ist in zwei gerissen zwischen dem, was sein Orden beziehungsweise sein König von ihm erwartet und dem, was er selbst für das Richtige hält. Er tötet und rettet zugleich die Feinde seines Glaubens. Nur selten gelingt es Vaelin, den Auftrag seines Heerführers zu erfüllen und zugleich seinem Gewissen zu folgen. Obendrein drohen Vaelin Strafe und Tod, wenn er auf seine innere Stimme hört. Doch er lässt sich nicht unterkriegen und findet Wege, zu überleben und seiner selbst treu zu bleiben.
Der zweifelnde Held – Ged, der Zauberer aus der »Erdsee«-Reihe von Ursula K. Le Guin
Wie viele Fantasy-Epen beginnt auch der »Erdsee«-Zyklus mit der Ausbildung des Helden. In »Erdsee« ist es der angehende Zauberer Ged, der die Zauberer-Schule auf Rok besucht. Ged ist ein etwas überheblicher Mann, der sich gern provozieren lässt. Und so lässt er sich zu einem verhängnisvollen Fehler hinreißen, der ihn sein Leben lang verfolgen wird. Er befreit einen Dämon, was weitreichende Folgen für die Inselwelt hat. In den folgenden Abenteuern gelingt es Ged mit Hilfe seiner Weggefährten das Gleichgewicht der Erdsee wieder herzustellen, doch dieses fordert seinen Preis. Ged geht in das Totenreich und kehrt als ein anderer zurück. Aus dem übermütigen arroganten Jungen wird ein stets zweifelnder, hinterfragender und deshalb kluger und umsichtig agierender Held. Seinen Frieden findet Ged nicht.
Der Bösewicht als Held – Messer aus »Die Blausteinkriege«-Trilogie von T.S. Orgel
Messer ist ein Assassine mit dem Auftrag, die Bastarde des Kaiserreichs Berun zu töten. Er tut dies leidenschaftslos und professionell. Denn er erhält Geld dafür und Geld ist ehrlich, für Ehre kann er sich nichts kaufen. Man nennt ihn auch den Vogelmann, denn ein spindeldürrer Körper und ein verschlissener wehender Mantel verleiht ihm die Gestalt eines Vogels. Messer sagt und meint immer genau das, was er denkt, ein vermeintlich trockener Humor, der jedoch keiner ist. Darüber hinaus hat Messer eine Vorliebe für schlechtes Essen und ist auch sonst kein sympathischer Typ. Dennoch wird Messer zum Helden und trägt dazu bei, das Kaiserreich Berun zu retten. Pragmatismus und Klugheit zeichnen Messer aus. Auf seine ganz spezielle Art ist Messer einer derjenigen Helden, die sich selbst immer treu sind. Und gerade deshalb ist er bei den Lesern so beliebt.
Der Held wider Willen – Lennart und Mops Bölthorn aus der »Lennart Malmkvist« – Reihe von Lars Simon
Lennart ist ein ganz normaler Typ der gerade eine schwierige Phase durchmacht. Seine Firma feuert ihn nach einem verpatzten Vortrag, seine Geliebte verschwindet unter mysteriösen Umstanden. Sein Nachbar, der einen Laden mit Zauberei-Artikeln betreibt, wird ermordet – und vererbt Lennart Laden und einen Hund. Bölthorn ist ein Mops, nicht gerade hübsch anzusehen und alles andere, als der beste Freund des Menschen. Als der ohnehin nicht besonders selbstbewusste Lennart den Mops bei Gewitter sprechen hört, glaubt er auch noch irre geworden zu sein. Doch Bölthorn überzeugt ihn davon, dass er nicht verrückt ist und mehr in ihm steckt – magische Kräfte, die ihm helfen, ein Verbrechen aufzuklären.
Helden, die eigentlich keine sein dürften – Meister Hippolit und Jorge, der Troll aus der Reihe »Die Fälle des IAIT« von Jens Schumacher und Jens Lossau
Meister Hippolit und Jorge, der Troll wiedersprechen so ziemlich jedem Heldenklischee, das es gibt. Und werden im Team dennoch zu Helden. Meister Hippolit ist zwar ein kundiger Zauberer, hat sich allerdings selbst überschätzt und bei einem Verjüngungszauber dauerhaft in die Gestalt eines schmächtigen Knaben verzaubert. Jorge, der Troll ist zwar ein kräftiger Typ, doch nicht der schlaueste und zumeist betrunken. Gemeinsam sind sie Agenten für das Institut für angewandte investigative Thaumaturgie und klären Kriminalfälle mit magischem Hintergrund auf. Mit dem Zauberer als das »Brain« und seinen magischen Tricks, sowie dem Troll für das Grobe und markanten Troll-Sprichwörtern gelingt ihnen, jedes noch so skurrile und abscheuliche Verbrechen in Sdoom aufzuklären. Das Autorenduo Lossau und Schumacher nimmt in dieser Reihe nicht nur die gängigen Heldenklischees aufs Korn. Auch Fantasy-Rassen wie Elben und Zwerge, zeigen sich von einer anderen Seite, als gewohnt.
Jugendliche Helden, die über sich hinaus wachsen – John Cleaver aus der »Serienkiller«-Serie von Dan Wells
Jugendliche Helden, die über sich hinaus wachsen, gibt es viele in der Fantasy. Doch nur wenige sind so tiefgehend charakterisiert wie John Cleaver aus der sechsteiligen Serie, dessen Auftaktband den Titel »Ich bin kein Serienkiller« trägt. Der Soziopath John Cleaver lebt in einem Beerdigungsinstitut in einer langweiligen Kleinstadt in den USA. Seine Obsession: Serienkiller. John hat ein weiteres Geheimnis. Er trägt einen Dämon in sich, den er mühsam vor seiner Umwelt verbirgt. Ein Verhaltenscodex hilft ihm, in menschlicher Gesellschaft nicht aufzufallen. Doch dann geschehen bizarre Morde in Clayton und John erkennt, dass ein weiterer Dämon am Werk ist. Und er der einzige ist, der ihn aufhalten kann. John ist ein gebrochener Held, der stets an sich zweifelt. Denn er glaubt selbst zu solchen abscheulichen Verbrechen, wie die die er untersucht, fähig zu sein. Er kann nachvollziehen, warum Dämonen tun, was sie tun, hat Mitleid mit ihnen und muss sie dennoch bekämpfen. Dan Wells hat diesem Helden alle Charakterzüge gegeben, die einen Helden interessant und unwiderstehlich machen. Widersprüchlich, voller innerer Kämpfe, geheimnisvoll und liebenswert zugleich – das ist John Cleaver.
Ein wahrer Held braucht kein Cape
Der strahlende Held hat in der modernen Fantasy-Literatur ausgedient, es sind die gebrochenen Helden, die dem Leser Spaß machen. Denn wir bewundern vor allem Persönlichkeiten, mit denen wir uns identifizieren können. Die ihre Schwächen und Ängste haben, die nicht immer das Richtige tun. Die nicht immer aus eigenem Antrieb und auch nicht immer aus Überzeugung Heldentaten vollbringen. Sie handeln oft aus Notwehr oder um zu Überleben. In ihrer Welt gelten sie vielleicht nicht als Helden, bekommen Missachtung zu spüren oder werden sogar bestraft. Und dennoch leisten sie außergewöhnliches und wachsen über sich hinaus. Retten auf ihre Weise die Welt und stehen letztendlich auf der Seite, die dem Leser als die Richtige erscheint.
Welche sind Ihre liebsten Helden in der Fantasy-Literatur?
Eva Bergschneider schreibt auf phantastisch-lesen.com am liebsten über Fantasy, gern auch über gesellschaftskritische Romane des Phantastik-Genres wie Science-Fiction und Steampunk.