Diese Stadt ist der Ihren sehr ähnlich.
Ähnlicher, als Ihnen lieb ist.
Willkommen in Night Vale.
Manchmal wollen wir einen abgedrehten Roman mit Aliens und Regierungsverschwörungen lesen. Manchmal wollen wir einen Roman über Gefühle lesen; Geschichten von Menschen, Familien, Freundschaft und Liebe. »Willkommen in Night Vale« führt beides zusammen. Aber nicht so, wie Sie es sich vorstellen. Ihre Vorstellung ist vollkommen falsch.
Die Menschen in Night Vale sind normale Menschen. Sie alle teilen unsere Sorgen und Hoffnungen. Sie wollen anerkannt werden. Sie sorgen sich um Gemeinschaft. Sie wollen nicht von der mysteriösen Leere verschlungen werden, die im Himmel über uns allen lauert.
»Willkommen in Night Vale« erzählt ihre ganz normalen Geschichten. Diane will einfach nur eine gute Mutter für Ihren Sohn Josh sein. Josh will es durch die High School schaffen und sich dabei ausprobieren. Darum ist er manchmal eine große Fliege. Manchmal ein Lerchenstärling. Manchmal ein Motorrad. Jacky hingegen will einfach nur 19 Jahre alt sein und ihr Pfandleihhaus führen – wie sie es seit Jahrzehnten tut (oder Jahrhunderten? Zeit ist seltsam). Ihre Routine wird gestört, als ein Fremder in der Stadt auftaucht, dessen Gesicht oder Namen sich kaum jemand merken kann. Der Fremde bringt einen Zettel, auf dem KING CITY steht. Der Zettel bringt ein Geheimnis. Das Geheimnis bringt eine Geschichte, die durch die liebenswürdigen Wirren der Stadt Night Vale führt – mit all ihren Überwachungshubschraubern und anonymen alten Frauen, die heimlich in Häusern von Familien leben – und in die bedrohliche, weite, unbekannte Welt außerhalb Night Vales.
Das Setting und die Charaktere sind schon älter als das Buch. Joseph Fink und Jeffrey Cranor haben das Projekt »Night Vale« 2012 als Podcast ins Leben gerufen, in Form einer fiktiven Lokalradio-Sendung. Der Moderator Cecil Palmer (im Podcast mit angemessen beruhigender Stimme gesprochen von Cecil Baldwin) erzählt darin jede zweite Woche die neuesten Ereignisse rund um Night Vale. Viele Geschichten, die im Buch nur angedeutet werden, haben hier ihren Ursprung. Warum in Night Vale Weizen- und Weizen-Nebenprodukte verboten sind. Warum eine Glühwolke über die High School bestimmt. Was es mit der fremdartigen, winzigen Zivilisation unter Bahn 5 der »Desert Flower Bowling Alley« auf sich hat.
Während die Geschichten im Podcast nur durch den Ort ihres Geschehens und wiederkehrende Charaktere verbunden werden, hat das Buch klare Protagonisten. Überraschend sind dies – obwohl von zwei männlichen Autoren geschrieben – durchgängig überaus lebendige und glaubwürdige Frauenfiguren, die man in diesem Genre selten antrifft. Es fällt sehr leicht, sich mit dem Leben von Jackie oder Diane zu identifizieren, was ob der Umstände erstaunlich ist.
Es ist das Zusammenspiel der absurden Schrullen der Bewohner und des skurrilen Schreibstils, der den besonderen Charme des Romans ausmacht. Denn wo die erzählten Geschichten im Kern alltägliche Probleme thematisieren, werden sie durch den nahezu ätherisch-außerweltlichen Sprachstil ständig in eine andere Sphäre entrückt. Eine Sphäre in der die Dinge genauso ablaufen wie bei uns. Nur anders. Ganz anders.
Wenn Sie den Podcast kennen und lieben, sollten Sie dieses Buch lesen. Offensichtlich. Wenn Sie den Podcast gehört haben und dachten: »Eeeehhh… ich wünschte, das alles wäre ein wenig kohärenter«, sollten Sie dieses Buch lesen, es ist genau für Sie. Wenn Sie den Podcast noch nie gehört haben, aber einen Sinn für Surrealismus und schwarzen Humor haben, sollten Sie dieses Buch lesen. Denn rein statistisch betrachtet könnte Ihr Leben vielleicht nur noch für ein einziges Buch reichen. Und dann sollte es besser eins sein, das Sie mögen.